Abiturreden 2001 von Oberstufenleiter Tangermann und Schülersprecherin Nike Wessel

Netze


Ansichten zu einer Metapher

Sieben Schlussfolgerungen aus der Rede von Herrn Tangermann (Oberstufenleiter)

1. Seid neugierig auf die Entwicklung eurer Generation, akzeptiert die Gegensätze und Andersartigkeiten, staunt über das Älterwerden als die schönste Lebenserweiterung und spinnt ein Netz aus gegenseitigen Erfahrungen, indem ihr euch trefft.

2. Habt Achtung vor der Kraft menschlicher Sprache, der Ausdruckstärke, dem Willen zur Überzeugung. Seid vorsichtig bei den Versuchen, euch in die Netze ideologischer Drahtzieher einspannen zu lassen.

3. Verwechselt die Allgegenwärtigkeit der Medien nicht mit Globalität. Die rasante Schnelligkeit der medialen Realitätsvortäuschung ist noch nicht der Ersatz für ein gut gewirktes Netz von Informationen und Wissen. Aktiv nach außen dringt Wissen erst durchs menschliche Sprechen und Schreiben; wenn wir dies gut können, überleben wir besser.

4. Die Wirkung eurer Persönlichkeiten liegt nicht nur in spektakulären Taten; sie liegt im Lächeln, im Helfen, im Nicht-Vergessen; sie liegt in den vielen Kleinigkeiten. Sie erst bilden ein Netz für die Verantwortung gegenüber dem Ganzen.

5. Habt Achtung vor der Fantasie anderer und glaubt an die eigene Kreativität, solange sie wirklich eigenständig ist. Die Produktivität des Menschen knüpft das dichteste Netz, das zur Bewahrung des Lebens notwendig ist.

6. Habt Vertrauen in einige immer gültige Wahrheiten. Das Licht am Ende eines Tunnels ist in euch, der gestirnte Himmel über euch und die Vielheit der Menschen um euch; Familie und Freunde bilden das Netz, das euch auffängt.

7. Habt den Mut, ungewohnte Wege zu gehen, das Abwegige zu denken, euch aus der Starrheit einer Meinung wegzubewegen. Vorurteile verschütten den Aufbau von Erfahrungen.





Auszüge aus der Rede von Nike Wessel (Schülersprecherin)

Heute ist der Tag, an dem unser erster entscheidender Lebensabschnitt zu Ende geht - mit dem Abi werden wir sozusagen aus der Schule rausgeschmissen und sind -weiß Gott- nicht wirklich zutiefst betrübt darüber.

Nun ist das natürlich kein einmaliger Vorgang, seit Generationen werden Menschen mit der Schule fertig, bekommen eine schöne Abschiedsfeier, wichtige und weniger wichtige Worte mit auf den Weg.
Jetzt sind es aber wir, und das macht es zumindest für uns, unsere Eltern und Freunde und auch für Sie, liebe Lehrerinnen und Lehrer, zu einem besonderen Tag.
Und als erstes möchte ich mich nun auch beim ganzem Kollegium herzlich bedanken, einfach dafür, dass sie sich in den letzten, manche sogar schon seit sieben Jahren, mit viel Energie und Engagement um uns bemüht haben.

Von Wochenenden mit dem Jahrbuch, auf Holland und Italienfahrten oder einfach nur in langen Projektstunden, in denen es meistens nur darum ging uns davon abzuhalten, die Feuerlöscher nicht in fremde Taschen zu halten an oder die Schränke im Flur nicht einzutreten. Wir hatten Lehrerinnen und Lehrer die viel Zeit in der Schule für uns aufbrachten und oft auch in ihrer Freizeit.
Eine lang vertraute Lehrerin schrieb für unser Abibuch, sie habe sich Mühe gegeben uns das Hinterfragen beizubringen und allein für solches Engagement und einen Theaterlehrer der uns zu seinen Meerschweinchen und zu begeisterten Spielern machte, hier stellvertretend für viele andere ein besonders Dankeschön.
Und nun wollen wir auch nicht die Eltern vergessen die hier in der Mensa, auf dem Hof beim Sommerfest und einfach in vielen Ausschüssen ihre Energie in diese Schule, in unsere nächste Umgebung gesteckt haben.
Unsere Familien waren für uns da und ich bin mir sicher, dass manch eine Mutter in diesem Augenblick genauso glücklich und erleichtert über die bestandenen Prüfungen dasitzt wie wir. Ein herzliches Danke Schön an alle.

Aus zwei Gründen fand ich es schwer , eine gute Rede zu halten.

Erstens: Ich bin sprachlos

Zweitens: Man soll an allem mindestens zweimal zweifeln und wer würde dies nicht wenigstens einmal tun, wenn eine Schülerin für einen Jahrgang von 74 so unterschiedlichen Menschen und über vergangene sieben Jahre sprechen soll.

Ich bin sprachlos, weil etwas zu Ende gegangen ist, von dem ich vor fast einem Monat noch dachte es sei unbegrenzt. Ja so zeit- und endlos wie 45 Minuten Arbeitslehre, wenn man 16 ist oder eben wie eine Doppelstunde Erdkunde mit Schwerpunkt Geysirbildung und seine Folgen...
Man kennt für sich - seitdem man sich wirklich erinnern kann - nur den Satz" ich bin Schülerin" und da muss man ja dann auch sprachlos werden, wenn der Satz auf einmal nicht mehr gilt und man das Gefühl hat mit nackten Füßen im Nebel zu stehen, anstatt sich "dann morgen in der Mensapause" zu sehen.
Auf einmal sind Konstanten wie Raucherecke, Leistungskursstunden und "nach der Sechsten am Oskar" so ohne Bedeutung, wie die Bushaltestelle am Waldfriedhof.

Sprachlosigkeit aber auch, weil die Gelegenheiten, sich in Respekt von seiten der Erwachsenen im Diskurs zu üben so selten waren. Schade.

So mussten 11 Jahre vergehen bis ich in der Philosophie und der Literatur der Aufklärung ein Wort und die intellektuelle Entsprechung meines Zustandes im Chemie Unterricht fand:
Die formulierte "Unmündigkeit und Unfreiheit des eigenen Denkens" fasste auf einmal die schon lang so vertraute Wut auf das "einfach nicht ernst genommen zu werden" von Jahren zusammen.

Nun egal, wie unterschiedlich jede oder jeder an die heute nun beendete Schulzeit denkt- "Damp muß brennen" und vielleicht können einige von euch dieses Gefühl im Bauch nachvollziehen, das Thomas Brasch in dem folgenden Gedicht in Sprache fasst:

 

*Lied

Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne will ich nicht mehr sehn, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

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